Die digitale Energiewelt fit machen gegen Cyberattacken

Dezentral, digital, vernetzt – in der neuen Energiewelt tauschen viele verschiedene Akteure permanent Informationen aus und sorgen so dafür, dass sauberer Strom jederzeit kostengünstig für alle verfügbar ist. Doch wie sicher ist dieses System? Prof. Bernd Engel, Experte für nachhaltige Energiesysteme an der Technischen Universität Braunschweig, und Marek Seeger, Informationssicherheitsbeauftragter bei SMA, über Chancen und Risiken der digitalen Energierevolution.

 

Die Energieversorgungsstrukturen befinden sich weltweit im Umbruch. Stromkonzerne werden aufgespalten und richten sich neu aus, immer mehr Menschen und Unternehmen machen sich mit selbst erzeugtem Strom unabhängig. In diesem Zusammenhang ist häufig von der „Digitalisierung der Energiewende“ die Rede. Was genau verbirgt sich dahinter?

Bernd Engel: Die Stromversorgung der Zukunft wird nahezu vollständig auf Erneuerbaren Energien basieren und damit klimafreundlich und schadstofffrei sein – und das bei gleichbleibender Versorgungssicherheit und sinkenden Strompreisen. Wind- und Photovoltaikanlagen können weltweit Strom zunehmend preiswerter produzieren als neue konventionelle Kraftwerke. Sie speisen dezentral dann ins Netz ein, wenn die Sonne scheint bzw. der Wind weht. Daher müssen dezentrale Erzeuger, Speicher und wesentliche flexible Verbraucher, wie etwa Elektrofahrzeuge oder Wärmepumpen, gezielt gesteuert werden. So können sie Erzeugung und Verbrauch im Stromnetz jederzeit ausbalancieren. Damit dies gelingt, brauchen wir viel mehr Kommunikationsverbindungen auch zu kleineren und mittleren Erzeugungsanlagen. Bisher waren nur große Anlagen in Spezialkommunikationsnetze der Netzbetreiber integriert. Über Pooling in sogenannten virtuellen Kraftwerken werden zukünftig aber auch kleinere Anlagen direkt an den Energiemärkten teilnehmen. So können sie Verbraucher direkt und ohne den Umweg über Stromversorger kostengünstig mit Strom beliefern. Der schnelle und sichere Austausch von Informationen zwischen Erzeugern, Verbrauchern, Netzbetreibern und weiteren Akteuren über moderne Kommunikationswege bildet also das Rückgrat der zukünftigen Energieversorgung.

 

Für Erzeuger und Verbraucher entstehen viele neue Möglichkeiten

 

Welche Auswirkungen wird das für die Verbraucher haben?

Bernd Engel: Unternehmen und private Verbraucher erhalten mit der zunehmenden Digitalisierung immer neue Möglichkeiten, sich an der Gestaltung der Energiewende zu beteiligen: zunächst über ihr Verbrauchsverhalten und später zunehmend auch über die aktive Teilnahme an den Strommärkten. Verbraucher, die gleichzeitig eine eigene Photovoltaikanlage besitzen, können den Strom, den sie nicht selbst nutzen, direkt über das Internet verkaufen. Wenn sie zusätzlich noch einen Speicher besitzen, können sie die Speicherleistung zum Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch im Stromnetz gegen ein Entgelt zur Verfügung stellen. Durch die gezielte Steuerung ihrer Stromverbraucher ist es auch möglich, besonders günstige Stromtarife zu nutzen und ebenfalls Netzengpässe während hoher Stromerzeugung zu verringern. Es ergeben sich hier also völlig neue Geschäftsmodelle. Und die Strompreise werden nicht mehr steigen, sondern sinken – auch weil immer mehr kostengünstiger Photovoltaikstrom zur Verfügung steht. Die Photovoltaik wird die günstigste Energieform und damit eine tragende Säule der neuen Energiewelt sein.

Marek Seeger: Und damit wird auch die Prognostizierbarkeit der Photovoltaikleistung immer wichtiger. SMA hat hier im vergangenen Jahr bereits einen entscheidenden Schritt in Richtung Zukunft getan. In unseren Online-Plattformen sind weltweit rund 290.000 Photovoltaikanlagen registriert. Wir erfassen, analysieren und archivieren die von ihnen gelieferten Daten professionell und stellen sie über unsere Lösung SMA Energy Services Übertragungsnetzbetreibern und Energiehändlern zur Verfügung. Diese können dadurch den Photovoltaikstrom besser ins Netz integrieren und vermarkten. Selbstverständlich halten wir dabei höchste Sicherheits- und Datenschutzstandards ein.

 

Apropos Datensicherheit – müssen Wechselrichter in der digitalen Energiewelt in diesem Bereich nicht besonders hohe Anforderungen erfüllen? Schließlich steuern sie ja die gesamte Photovoltaikanlage inklusive der Netzeinspeisung des Solarstroms.

Bernd Engel: Ganz genau. Wechselrichter sind das „Gehirn“ jeder Photovoltaikanlage. Zusätzlich zur Steuerung des Photovoltaik-Generators erbringen sie viele Netzdienstleistungen, ohne die das Stromnetz leicht zusammenbrechen könnte. Daher sind die Sicherheitsanforderungen hier besonders hoch. Es muss sichergestellt sein, dass keine unbemerkten „Hintertür-Mechanismen“ eingebaut sind, die Cyber-Attacken ermöglichen. Schließlich schrecken einige Staaten nicht davor zurück, kritische Infrastruktur in anderen Ländern anzugreifen. Und dazu gehört die Stromversorgung in jedem Fall.

Marek Seeger: Ganz wichtig ist deshalb auch die Unabhängigkeit der Hersteller von staatlichen oder sonstigen Stellen. Denn wenn sensible Daten weitergegeben werden, könnte damit schlimmstenfalls die Stromversorgung eines gesamten Landes lahmgelegt werden. Bei SMA ist diese Unabhängigkeit selbstverständlich gewährleistet. Bei einigen unserer Wettbewerber aus Fernost bestehen daran jedoch Zweifel. Teilweise werden sie deshalb sogar aufgrund von Sicherheitsbedenken von öffentlichen Ausschreibungen für kritische Infrastrukturen ausgeschlossen.

 

Wechselrichter müssen hohe Sicherheitsanforderungen erfüllen

 

Was tut SMA darüber hinaus, zum Schutz vor Cyber-Attacken?

Marek Seeger: Die IT-Sicherheit steht bei uns sowohl auf der strategischen als auch auf der operativen Ebene ganz oben auf der Agenda. Durch fest verankerte Prozesse und Maßnahmen sorgen wir dafür, dass unsere Lösungen immer den höchsten und aktuellsten IT-Sicherheitsanforderungen entsprechen und alle internationalen Standards erfüllen. Ein dafür abgestelltes, interdisziplinäres Team arbeitet an sicheren Systemlösungen und deren Integration. Das beginnt bereits ganz früh bei der Produktenwicklung und reicht bis zu regelmäßigen Fern-Updates der Gerätesoftware im Feld, so dass diese immer auf dem neuesten Stand ist. Als Informationssicherheitsbeauftragter stehe ich hier ständig mit allen relevanten Unternehmensbereichen in Kontakt. Informationssicherheit ist ein extrem spannendes und wichtiges Thema, das ständige Wachsamkeit erfordert.

 

Euer Fazit: Können wir uns auf die dezentrale und digitale Energiewelt der Zukunft freuen oder müssen wir uns vor den Risiken fürchten?

Bernd Engel: Die neue Energiewelt bietet so viele Vorteile für alle Beteiligten. Mit einem schnellen Umstieg auf dezentrale Erneuerbare Energien können wir es nicht nur schaffen, den Klimawandel einzudämmen, sondern die Energierevolution beendet auch die Marktmacht einzelner Staaten und Konzerne, die fossile Energien liefern. So erhalten immer mehr Menschen Zugang zu einer bezahlbaren und nachhaltigen Energieversorgung. Die Risiken sind absolut beherrschbar, wenn von allen Seiten die nötigen Schutzmaßnahmen getroffen werden.

Marek Seeger: Das sehe ich ganz genauso. Wichtig ist, dass wir das Bewusstsein für die Sicherheit schärfen und sie ständig verbessern. Hier sind nicht nur die Hersteller gefragt, sondern alle Beteiligten, also auch die Verbraucher bei der Auswahl der Produkte und ihrer sicheren Anbindung.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Prof. Bernd Engel im Gespräch über die Digitalisierung der Energiewelt

Marek Seeger (links), Prof. Bernd Engel (rechts)

Über Marek Seeger

Marek Seeger war schon als Drittklässler von den Solarzellen seines Taschenrechners fasziniert. Nach dem Studium der Wirtschaftsinformatik an der TU Clausthal arbeitete er mehrere Jahre als Auditor und Consultant für Informationssicherheit. 2015 kam er als Informationssicherheitsbeauftragter zu SMA, wo er seine Begeisterung für Erneuerbare Energien und IT-Sicherheit perfekt miteinander verbinden kann.

 

Über Prof. Bernd Engel

Nach dem Studium der Elektrotechnik an der TU Darmstadt beschäftigte sich Prof. Bernd Engel zunächst mit Bahntechnik. Anschließend verantwortete er von 2003 bis 2011 die Wechselrichter-Entwicklung bei SMA. Schließlich folgte Prof. Engel dem Ruf der TU Braunschweig, wo er bis heute im Fachgebiet „Komponenten nachhaltiger Energiesysteme“ forscht und lehrt. Darüber hinaus ist er in vielen Gremien und Arbeitskreisen im Bereich der elektrischen Energieversorgung tätig.

 

Das Interview ist erstmalig im Geschäftsbericht 2016 erschienen. 

 

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This article was published in 2017. As we are constantly developing our solutions, there may be newer or additional options for the tips and techniques in this article.

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